Ton Roosendaal ist der ursprüngliche Entwickler von Blender. Mitte der Achtziger gründete er das niederländische Studio NeoGeo und sammelte dort erste Erfahrungen als Programmierer. Mitte der Neunziger begann er die Entwicklung der Software, die wir heute als Blender kennen. Seit 2002 ist er Vorsitzender der Blender Foundation.
BD: Ton, welchen Beruf hast vor der Gründung von NeoGeo ausgeübt und warum hast du den Entschluss gefasst, ein eigenes Animationsstudio zu eröffnen?
Ton Roosendaal: Ich war freiberuflicher Designer. Anfang der Achtziger arbeitete ich im Bereich Industrie- und Grafikdesign. Das waren so Sachen wie Poster, Flyer, Broschüren. Damals war die Arbeitslosigkeit in den Niederlanden sehr hoch. Die Hälfte meiner Generation, also Leute, die Anfang der 80er-Jahre in ihren Zwanzigern waren, hatten damals keine Arbeit. Es war einfach, freiwillige Tätigkeiten auszuführen. Damals habe ich hauptsächlich freiwillige Arbeiten erledigt, es gab nur wenig kommerzielle Aufträge. Aber Mitte der 80er-Jahre fanden Veränderungen statt. Die Computer kamen langsam auf, und es wurden wieder mehr Geschäfte gemacht. Ich fand damals heraus, wie cool die Arbeit mit Computern ist. Zuvor hatte ich damit keinen Kontakt gehabt. 1982 hatte ich meinen ersten Sinclair Spectrum gekauft und 1985 einen Amiga. Ich versuchte, damit Designarbeiten zu erledigen. Wenn man so etwas mit einem Computer macht, landet man über kurz oder lang bei der Computergrafik und letztendlich bei 3D. Besonders 3D-Rendering und -Animation ist pure Magie. Aber wenn man das damals machen wollte, brauchte man starke Computer. Der kleine Amiga konnte einen Pixel pro Sekunde berechnen; es brauchte einen ganzen Tag, um ein kleines Bild mit einer Auflösung von 320 x 240 Bildpunkten zu rendern. Wir brauchten also schnellere Computer und bessere Software, all diese Dinge. Also beschlossen wir, eine Firma zu gründen, um unser Hobby zum Beruf machen zu können. Damit wir uns zum Beispiel auch bessere Systeme für die Videoaufzeichnung leisten konnten. Damals hat man alles auf Video aufgezeichnet. Man brauchte auch "Beschleunigerkarten", so haben wir die damals genannt. Ein 68.000er-Prozessor hatte damals 8 MHz. Dazu gab es spezielle Rechen-Boards, die bei 30 bis 50 MHz mit Fließkommagenauigkeit arbeiten konnten. Umgerechnet bezahlte man damals 4.000 bis 5.000 Euro nur für die Boards. Aber man konnte zehnmal schneller rendern und das war die Performance, die man brauchte, wenn man mit Kunden arbeitet. Wir liehen uns Geld von Freunden und in der Familie und gründeten eine eigene Firma, um zu sehen, ob es funktionieren würde. So ist NeoGeo enstanden, um unsere Leidenschaft zu finanzieren, damit wir mit Computern arbeiten konnten. Computergrafik war damals etwas, was in den Niederlanden- soweit ich weiß- niemand sonst machte. Das war alles so neu und aufregend, wir mussten dabei sein!
BD: Damals habt ihr noch Amigas genutzt. Irgendwann habt ihr dann angefangen, eure eigene Software zu schreiben. Warum habt ihr euch zu diesem Schritt entschlossen und woher nahmt ihr die Informationen, die man braucht, wenn man 3D-Grafik-Software programmieren will?
Ton Roosendaal: Wir haben tatsächlich schon für den Amiga Software geschrieben. Besonders der technisch-geschäftliche Teil von NeoGeo. Ich war offiziell für die kreative Arbeit zuständig. Ich habe dann dem Techniker beim Progammieren über die Schulter gesehen und festgestellt, wie mächtig das ist. Die eigentliche 3D-Technologie, die Magie, wurde plötzlich greifbar. Sobald man weiß, wie man eine Linie zeichnet, wie man mit einer Matrix multipliziert, wie man eine 3D-Transformation aufsetzt und eine Kamera und so weiter, kann man 3D-Code schreiben. Das war noch in den Zeiten vor OpenGL, als man alles selbst machen musste. Als wir das dann alles hatten, konnte man zum Beispiel einen Würfel zeichnen, und Linien, Texturen, Beleuchtung, Normalen und all die kleinen Dinge, die zusammen ein Rendering ausmachen. Damals habe ich Raytracing gemacht, Simulationen und Physik, zum Beispiel Kleidungs-Simulation, in den späten Achzigern! All diese Dinge auszuprobieren, das ist fantastisch! So haben wir angefangen. Wir haben auf Amigas programmiert, weil es dafür keine Software gab. Wir konnten vielleicht zwei oder drei kommerzielle Programme für 3D kaufen, und das war es dann eigentlich. Selbst Lightwave hat zwar auf Amiga angefangen, damals war unsere Software aber schon besser als alles, was wir kaufen konnten. Also entschieden wir uns, gar keine Software mehr zu kaufen, sondern alles, was wir brauchten, selbst zu entwickeln. Weil wir dadurch genau das erstellen konnten, was wir brauchten.
BD: Ihr habt dann aber irgendwann die Architektur gewechselt?
Ton Roosendaal: Wir sind später zu Silicon Graphics (SGI) gewechselt. 1985 hatte Amiga angefangen, 1987/88 hatten wir dann die besseren Amiga-Modelle und die Beschleunigerkarten, und dann hat das alles aufgehört. Amiga hat da eine sehr seltsame Geschichte. Keiner weiß wirklich warum, aber Amiga hatte die beste Hardware und das beste Grafiksystem auf dem Markt- doch plötzlich kamen keine Innovationen mehr. Zum Beispiel brauchten wir als professionelles Studio dringend Grafikkarten mit 24 Bit. Das war damals etwas ganz Besonderes. Auf dem Amiga hatten wir nur 8-Bit-Grafik. Sprich: Wir mussten mit 256 Farben auskommen. Wir versuchten, die Karte zu hacken, mit einer optimierten Farbpalette, Dithering und all den Tricks, um die Ausgabe aufzuhübschen, aber wirklich toll war das alles nicht. Die Profis nutzten alle 24-Bit-Grafikkarten und so etwas gab es einfach nicht für den Amiga. Es gab da ein paar Lösungen, aber das waren sehr obskure Sachen. Boards, die von Hand gelötet waren, Hardware-Hacks, aber nichts Solides.
Zur gleichen Zeit kamen all die Systeme wie Techtronics, Apollo, Silicon Graphics und Sun auf den Markt. Viele Firmen begannen, Computer für 3D-Grafik zu bauen. Das war damals auch die Zeit, als man zum ersten Mal einen Computer kaufen konnte, der ein gefülltes Dreieck und weitere Dreiecke in Echtzeit darstellen konnte. Man konnte also ein Modell erstellen und es live im Viewport ansehen. Mit 24-Bit-Grafik! Das hat uns damals wirklich die Sprache verschlagen. Wir beschlossen, nicht weiter in PCs oder Amigas zu investieren, sondern ganz oben mitzuspielen. Das war ein wirklich großer Schritt. Damals konnte man einen Amiga für 2.000 bis 3.000 Niederländische Gulden erstehen, das wären heute rund 1.000 bis 1.500 Euro. Das kleinste Modell von SGI kostete 60.000 Gulden; man musste also 20 Mal so viel Geld investieren. Und die Software befand sich in derselben Preisklasse. Beim Vorgänger von Maya, Alias Wavefront, konnte man schnell 20.000 bis 50.000 Gulden hinlegen für die Lizenz.
BD: Ihr konntet aber eure eigene Software schreiben und musstet daher keine teuren Lizenzen kaufen?
Ton Roosendaal: Wir hatten das schon für den Amiga gemacht, also warum nicht auch für SGI? Ich überredete meinen Geschäftspartner zur Anschaffung einer SGI-Workstation. Ich hatte einen ganzen Sommer, so zwei bis drei Monate, zur Verfügung. Also sagte ich: „Ich werde den ganzen Sommer progammieren, dann haben wir ein Render-System. Wir modellieren weiter auf dem Amiga, rendern dann aber auf der SGI-Workstation in gut aussehender 24-Bit-3D-Grafik“. Das habe ich dann auch gemacht und wenig später hatten wir auch ein Werkzeug zum Modellieren in 3D auf der SGI-Workstation, und das Programm wurde größer und größer. Wir hatten mit SGI im Jahr 1991 angefangen und 1993 war die Software, die wir „Traces“ nannten, bereits nicht mehr zu managen. Der Grund waren einige schlechte Designentscheidungen, sie machten die Software kompliziert und dumm. Daher habe ich 1994 angefangen das zu schreiben, was im Mai 1995 als „Blender“ zum ersten Mal zum Einsatz kam.
Besonders in der ersten Hälfte der 90er-Jahre war SGI eine der großartigsten Firmen, bei denen man Kunde sein konnte. Ich will nicht sagen, dass sie Open Source erfunden hätte, aber alles was sie tat, hatte ein gewisses Level an Offenheit. Die Lizenz war manchmal nicht so genau und gut ausgearbeitet, wie wir uns das gewünscht hätten, aber SGI wusste von Anfang an, dass ihre Kunden ohne Teilen nichts zustande bringen könnten. Wenn man ein SGI-System und den Compiler kaufte, erhielt man zudem Software-Beispiele, und zwar eine ganze Menge. Zuerst auf Tapes, später auf CD, und man konnte sich auf der Webseite von SGI einloggen, um noch mehr zu erhalten. Sie haben viel geteilt, damit man auch verstehen konnte, was mit SGI eigentlich möglich war. Es gab also keinen Grund, diese Sachen zu verstecken. Selbst komplexer mathematischer Code für perfekte Transformationen und Kameradinge. Wie macht man etwas? All die Grundlagen? Das muss geteilt werden! Wenn man diese Dinge nicht teilt, gibt es keine Entwicklung. Denn jeder steht auf den Schultern von Riesen, die wiederum auf den Schultern von weiteren Riesen stehen. Die extreme schnelle Entwicklung im Bereich 3D-Grafik in den Neunzigern ist zu einem guten Teil auf diese Offenheit von SGI zurückzuführen. In den 2000er-Jahren ist die Entwicklung dann langsamer geworden, außerdem diversifizierter. Heute fühlt es sich wieder offener an, mit den ganzen Studios, die Open-Source-Projekte anstoßen. Aber in den 2000er-Jahren waren die Dinge nicht wirklich offen.
Dieses Interview erschien im Magazin Digital Production, Ausgabe 1501. Den zugehörigen Artikel zur Geschichte von Blender finden Sie hier auf BlenderDiplom. Herunterladen können Sie Artikel und Interview hier im PDF-Format.