“Film XY wurde mit Maya, Houdini und Modo erstellt, aber bei welchen Hollywood-Produktionen kam Blender zum Einsatz?”. Solche und ähnliche Fragen beziehungsweise Aussagen hört man als Blender-Nutzer immer wieder. Auch wenn man sich dabei fragt, welche Relevanz der Einsatz eines Programms in Hollywood-Filmen für Freelancer und kleine Studios im deutschsprachigen Raum haben soll. Da diese Frage aber immer wieder auftaucht, wäre es an der Zeit, sie endlich zu beantworten.
Als aktives Mitglied der Blender-Community erfährt man hin und wieder Gerüchte oder Kommentare, dass das Programm auch in großen Hollywood-Produktionen sporadisch eingesetzt wird. So soll es in der Previs von Avatar eine Rolle gespielt haben, und in einigen Shots von “Ted” soll das UV-Unwrapping des Bären mit Blender realisiert worden sein. Und dann hörte man noch etwas über den Einsatz von Blender in “Life of Pi”. Auf der Blender Conference 2013 in Amsterdam hat der ehemalige Mitarbeiter des Studios Rhythm and Hues, Jean Kennedy, ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert. Es kam heraus, dass Blender dort wesentlich häufiger eingesetzt wurde als gedacht, auch gab es bei Rhythm and Hues Blender-Kurse, die von Mitarbeitern in Los Angeles und Indien durchgeführt wurden. Wie zu erwarten, wurde mit Blender nichts Großes erstellt, vielmehr wurde das Tool immer dann eingesetzt, wenn kurzfristig Elemente benötigt wurden, die im Compositing-Department nicht zur Verfügung standen und die sich einfach und schnell mit Blender erstellen lassen. BlenderDiplom sprach mit Jean Kennedy über seine Arbeit bei Rhythm and Hues und seinen Einsatz von Blender dort.
BD: Jean, wie ist es dazu gekommen, dass du Blender in der Postproduktion bei Rhythm and Hues eingesetzt hast?
Jean Kennedy: Ton Roosendaal, der Vorsitzende der Blender Foundation, hatte mir eine E-Mail geschrieben, nachdem ich die DVD zu “Big Buck Bunny” bestellt hatte. Er hatte bemerkt, dass die DVD an Rhythm and Hues geschickt werden sollte. Also hat er mich kontaktiert und angefragt, ob ein Team von Blender-Nutzern ins Studio kommen könnte, um dort eine Präsentation abzuhalten. Das haben sie dann auch gemacht, als sie zur Siggraph sowieso in der Gegend waren. Sie kamen zu Rhythm and Hues für eine kurze Präsentation. Das war meine erste richtige Einführung in Blender und noch zu 2.49-Zeiten. Ich habe dann ein Auge auf das Programm behalten. Als Version 2.50 erschien, wurde mein Interesse wieder geweckt, denn das neue Interface war endlich etwas, mit dem ich umgehen konnte, wesentlich einfacher als in Version 2.49. Blender funktionierte auch auf den Computern von Rhythm and Hues, da man es nicht installieren musste und es für Linux, Mac OS und Windows verfügbar war. Mit exakt dem gleichen Interface, was sehr hilfreich war. Also habe ich es heruntergeladen und immer wieder für Kleinigkeiten genutzt. Blender wurde nie für Dinge eingesetzt, die im Zentrum der Aufmerksamkeit des Zuschauers waren. Der Tiger aus “Life of Pi” ist zum Beispiel nicht mit Blender erstellt worden. Aber wenn ein Compositor kleinere Elemente benötigte wie Staubwölkchen, Rauchfahnen oder kleine Vögel, die im Hintergrund herumfliegen, dann war Blender sehr nützlich. Denn es gab ihnen Zugriff auf ein Partikel-System und weitere Simulations-Werkzeuge. Solche Dinge, kleine Details, erwecken eine Szene zum Leben. Ich setze Blender beispielsweise ein, um Akzente zu setzen bei dem Material, das wir von der hauseigenen Abteilung für Spezialeffekteerhielten. Sie würde uns die größeren Dinge wie massive Fluid-Simulationen oder fein ausgearbeitetes Fell liefern, mit Blender habe ich aber einem Shot noch das gewisse Etwas verpasst.
BD: Hast du eine Liste von Titeln, bei denen Blender eingesetzt wurde?
Jean Kennedy: Ja, die habe ich. Sie ist aber nicht besonders lang: Beispielsweise “RIPD”, der dieses Jahr erschienen ist. Bei “Big Miracle”, einem Film mit Drew Barrymore von 2012, habe ich Blender recht viel eingesetzt. Ich habe ein paar Rauch- und Stoff-Simulationen eingebaut. “Hunger Games” hat ein paar Blender-Vögel. Für “Life of Pi” habe ich ein Partikel-System erstellt, das einen anderen Effekt für Wassertropfen auf der Kamera-Linse ansteuerte. Also ganz kleine Sachen die ein Compositng-Team nutzen konnte. Ein Vogelschwarm, den ich erstellt hatte, wurde in einer ganzen Reihe von Filmen eingesetzt, darunter “Alvin 3”. Die könnten sogar im neuesten X-Men-Film auftauchen. Einige der Elemente wurden jeweils in den Filmen eingesetzt, die gerade aktuell im Studio anstanden.
BD: Du hast bei Rhythm and Hues Blender nicht nur genutzt, sondern auch ein Abend-Seminar geleitet?
Jean Kennedy: Das habe ich über eine Firma namens “Studio Arts” in Los Angeles gemacht. Die Firma hat einen Vertrag mit Rhythm and Hues und anderen Studios. Wenn du in einem dieser Studios arbeitest, darfst du die Kurse von Studio Arts kostenlos besuchen. Im Falle von Rhythm and Hues hatten sie sogar einen eigenen Klassenraum auf dem Studio-Gelände. Da konnte man dann Sachen wie Python-Programmierung oder Compositing in Nuke erlernen. Ich habe sie kontaktiert, damit ich einen Blender-Kurs halten könnte. Das wurde dann ein 10-Wochen-Unterfangen, abends nach der Arbeitszeit. Da waren Leute in unterschiedlichsten Positionen vertreten. Vom Büroarbeiter zum VFX-Supervisor. Alle waren sie sehr interessiert, hatten Spaß und liebten das Programm. Sie waren geradezu schockiert, wie viel man in so kurzer Zeit aus Blender herausholen konnte. Es waren ja nur wenige Stunden pro Woche für 10 Wochen. Trotzdem erreichten sie photorealistische Resultate. Das hat einigen Leuten die Augen geöffnet, die das Programm sonst niemals angefasst hätten.
BD: In Indien gab es sogar eine Do-It-Yourself-Klasse von Rhythm-and-Hues-Mitarbeitern für Blender?
Jean Kennedy: Die haben das schon lange vor mir gemacht, Jahre vor mir um genauer zu sein. Einer der Leute von dort, Satish, war sehr in Blender vertieft, und von den Bildern her, die ich gesehen habe, war ihre Gruppe wirklich groß. Wie in Los Angeles eigneten sie sich Blender nach Feierabend an. Sie haben sich sogar an richtigen Projekten probiert. Nichts, was für die Öffentlichkeit gedacht war, sondern nur um zu lernen.
BD: Außenseiter wissen meist gar nicht, dass Blender hier und da in Hollywood eingesetzt wird. Was dürften die Gründe dafür sein?
Jean Kennedy: Die größeren Studios investieren viel Geld in Software. Sie alle haben großartige Werkzeuge, mit denen man erstaunliche Sachen machen kann. Wenn ein Artikel geschrieben wird über ihre Arbeit, dann ist es natürlich, dass sie über ihre eigene Software berichten. Und die Software ist wirklich gut, man sollte auch darüber berichten. Blender war im Postproduction-Prozess nie ein besonders großer Baustein. Also werden die Sachen genannt, die deutlich stärker eingesetzt werden. Blender wurde hauptsächlich von mir eingesetzt, nicht von einem ganzen Team. Und nur für ganz bestimmte Zwecke. Die meiste Zeit wusste nur mein direkter Supervisor, wie ich bestimmte Dinge erstellt hatte. Für den Rest war es eher so, dass eben Vögel in einem Shot erschienen sind. Die sahen gut aus und niemand würde fragen woher die eigentlich kamen.
BD: Jetzt arbeitest du als Freelancer. Nutzt du die Vorteile von Blender, also zum Beispiel die Möglichkeit, fast die gesamte Produktion in ein und demselben Programm zu bewerkstelligen, jetzt verstärkt?
Jean Kennedy: Ja, das mache ich tatsächlich. Ich habe inzwischen schon bei einigen Kurzfilmen mitgewirkt und da habe ich fast nur Blender eingesetzt. Momentan arbeite ich an den visuellen Effekten für einen Langfilm. Ich versuche, so weit wie möglich in Blender zu bleiben. Der Teil, der mir dabei am meisten Sorgen macht, ist der Compositor. So Sachen wie die limitierten Möglichkeiten, ein Bild in 2D zu verändern, ohne in den 3D-Raum zu gehen. Hoffentlich kann ich den Entwicklern Feedback geben und damit die Entwicklung des Compositors beeinflussen, sodass da ein paar gute Tools einfließen – das ist der Plan.
BD: Wenn man Artikel über Blender liest, kommt immer wieder eine bestimmte Frage auf: “Welcher Ultra-Blockbuster-Hollywood-Film wurde mit Blender erstellt?”. Woher, meinst du, kommt dieses Verlangen?
Jean Kennedy: Ich denke mal, die Leute wollen einfach ein Prunkstück. Und zwar ein großes, viel beachtetes. Wenn Maya in Avatar genutzt wurde, ist das natürlich ein wunderbares Verkaufsargument: “Kaufe die Software, die Avatar möglich gemacht hat!”. Ich denke mal, das ist es, auf was die Blender-Gemeinschaft wartet. Einen Hollywood-Film der Blender ins Rampenlicht bringt und zeigt was damit möglich ist. Ich glaube aber, dass das Blender Institute mit den Open Movies genau diese Aufgabe erfüllt. Und noch dazu mit einer Größe, in der das sonst keiner macht. Die Qualität der visuellen Effekte kann sich mit Hollywood messen.
Ich glaube, die Leute wollen, dass etwas sehr Bekanntes mit Blender erstellt wurde, damit sie die Software besser “verkaufen” können. Aber ich denke, Blender wird viel mehr eingesetzt, als es die Leute bemerken. Ich würde nicht behaupten, dass Blender in jedem Studio eingesetzt wird, aber, es ist eine der Sachen, die etwas gängiger sind, als man meinen würde.
Dieses Interview erschien im Magazin Digital Production, Ausgabe 1401. Herunterladen können Sie das Interview hier im PDF-Format.